Ex-Fußballnationalspieler Thomas Hitzlsperger hat sich 2014 offiziell als homosexuell geoutet. Heute ist er Vorstandsvorsitzender beim VfB Stuttgart und engagiert sich beim DFB gegen Diskriminierung. Im stern-Interview spricht Hitzlsperger über Rassismus im Fußball, mögliche Spielerstreiks und seine eigenen Erfahrungen mit Hass.
Diskriminierung aller Art ist in Deutschland immer noch an der Tagesordnung – auch im Fußball. Deshalb hat sich der DFB an der Initiative #MeineStimmegegenHass der Deutschlandstiftung Integration beteiligt. Die Aktion erinnert an die Opfer rechter Gewalt und fordert dazu auf, sich gegen Rassismus und Diskriminierung im Alltag einzusetzen. Auch der stern unterstützt diese Initiative als Medienpartner.
Thomas Hitzlsperger weiß selbst, was es bedeutet, mit Diskriminierung konfrontiert zu sein. Der Ex-Nationalspieler bestritt 52 Länderspiele für Deutschland, er war beim Sommermärchen 2006 dabei, wurde 2008 Vize-Europameister und 2007 Deutscher Meister mit dem VfB Stuttgart. Nach seiner aktiven Karriere outete sich Hitzlsperger öffentlich als homosexuell – als erster ehemaliger deutscher Fußball-Profi.
Heute ist der 38-Jährige Vorstandsvorsitzender beim Bundesligisten VfB Stuttgart und engagiert sich zudem als Vielfaltsbotschafter beim DFB. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verlieh ihm im Oktober das Bundesverdienstkreuz für seinen Kampf gegen Rassismus, Homophobie und Diskriminierung. Der stern hat mit ihm darüber gesprochen, wie es um diese Themen in der Gesellschaft und im Fußball steht.
Herr Hitzlsperger, seit einigen Jahren engagieren Sie sich als Vielfaltsbotschafter beim DFB gegen Rassismus und Diskriminierung. Wie sieht diese Arbeit aus?
Nach meinem öffentlichen Comingout 2014 kam der DFB auf mich zu und wollte mich in die Anti-Diskriminierungs-Arbeit integrieren, was ich sehr gerne getan habe. Seither gebe ich meine Erfahrungen weiter und unterstütze den Verband. Ich spreche über Diskriminierung im Profisport, zeige als Ex-Nationalspieler mein Gesicht und unterstütze den DFB auch darin, inhaltlich voranzukommen, vor allem im Austausch mit Akteuren aus den Landesverbänden und Vereinen. Vielfalt ist für viele noch unbekanntes Terrain, da betreibe ich gerne Aufklärungsarbeit.
Rassismus begegnet uns leider immer wieder in ganz unterschiedlichen Formen und Ausprägungen. Aber es gibt ein starkes Bewusstsein und einen Diskurs darüber. Wir werden wohl ein Leben lang dagegen ankämpfen müssen. Zudem sollten wir in Bildung investieren und Aufklärung betreiben und im Notfall auch sanktionieren.
Ich bin überzeugt, dass diese Kampagne der Deutschlandstiftung Integration richtig und wichtig ist. Prominente und nicht prominente Personen erheben ihre Stimme gegen Hass und zeigen damit unmissverständlich, dass sie Rassismus in der Gesellschaft entschieden verurteilen. Man erzeugt dadurch Aufmerksamkeit, man erreicht durch prominente Menschen deren Anhänger – das ist doch die Wirkung, die man erzielen will. Ich habe das im Umgang mit Homosexualität festgestellt, einem Thema, das früher noch gesellschaftlich tabuisiert war. Und jetzt stelle ich in meinem Alltag fest, dass es mancherorts positive Entwicklungen gibt.
In den Teams, in denen ich war, hat Rassismus praktisch keine Rolle gespielt. Die Mannschaften haben sich aus Spielern aus der ganzen Welt zusammengesetzt, aber das hat immer funktioniert, weil alle die Leidenschaft Fußball teilten. Da fallen die Unterschiede schnell weg. Deshalb besitzt der Fußball ja auch diese integrative Kraft.
Es gibt Anfeindungen von Zuschauern, davon berichten Spieler immer wieder. Viele haben solche Erfahrungen schon in ihrer Kindheit gemacht. Jerome Boateng oder Kevin-Prince Boateng sprechen ja zum Beispiel auch offen darüber. Profis sehen sich häufiger Beleidigungen ausgesetzt. Bei Spielern mit dunkler Hautfarbe ist dabei die rassistische Beleidigung die wohl billigste Form. Aber Rassismus ist von einer normalen Beleidigung noch einmal klar zu unterscheiden und muss auch gänzlich anders sanktioniert werden.
Wir können es nicht gänzlich nachempfinden, aber als Teil einer Minderheit weiß ich, wie es sich anfühlt, beschimpft und beleidigt zu werden. Im Detail können wir nicht verstehen, was es heißt, aufzuwachsen und beschimpft zu werden, weil man anders aussieht. Aber wir können uns unser ganzes Leben lang zur Wehr setzen und Leute unterstützen, die diskriminiert werden. Zum Beispiel, indem wir darüber reden, einschreiten und den Menschen eine Stimme geben, um auf das Problem aufmerksam zu machen.
In meiner aktiven Zeit als Fußballprofi wurde Rassismus schon thematisiert. Die Klubs haben die Pflicht, ihre Rolle als Vereine in der Mitte der Gesellschaft wahrzunehmen. Es gibt gar keine Alternative dazu. Aber es gibt natürlich noch andere sozialpolitische, gesellschaftliche Themen und da muss man manchmal priorisieren, weil man nicht alles gleichzeitig leisten kann.
Da muss man auch die Spieler stark miteinbeziehen. Spieler, die beleidigt werden, müssen wissen, dass der Verein sie unterstützt, wenn sie so etwas wie Streik in Erwägung ziehen. Kevin-Prince Boateng ist einmal mit seiner Mannschaft vom Platz gegangen, weil er rassistisch beleidigt wurde (2013 in einem Testspiel mit dem AC Milan, Anm. d. Red.). Das ist durchaus immer eine Option.
Ich habe mit Spielern vereinzelt darüber gesprochen, vor allem zu Beginn der Black-Lives-Matter-Bewegung. Bevor Spieler gekommen sind, gab es auch schon mal die Frage: Wie sicher kann man sich in Deutschland fühlen, wenn man keine weiße Hautfarbe hat? Dass wir uns diesbezüglich beim VfB klar bekennen zu Vielfalt und gegen Diskriminierung und ich darüber hinaus mit meiner Lebensgeschichte als Vorstandsvorsitzender tätig bin, ist schon ein deutliches Signal. Dasselbe gilt für Rassismus. Die Spieler wissen, dass sie bei uns gut aufgehoben sind und wir ihnen bei Problemen helfen.
Widersprechen! Das erfordert Mut, vor allem in der Gruppe, aber es ist ein starkes Zeichen. Es bedarf mutiger Menschen, die sagen, dass sie Rassismus nicht tolerieren und er in unserer Gesellschaft keinen Platz hat. Vereine können immer wieder daran erinnern, wofür und wogegen sie einstehen, damit der Fan weiß: Mein Verein steht für diese Werte und das schließt zwangsläufig auch jene aus, die diese Werte nicht teilen oder gegen sie handeln. Der DFB setzt mit dem jährlich verliehenen Julius Hirsch Preis ein starkes Zeichen gegen Rassismus und Antisemitismus. Der Preis wird im Namen des in Auschwitz ermordeten deutschen Nationalspielers Julius Hirsch verliehen.
Das Bewusstsein für Rassismus ist dort in der Gesellschaft viel präsenter als in Deutschland, weil die Bevölkerungsstruktur eine andere ist. Auch die Diskussionen darüber waren emotionaler und fanden häufiger statt. Meine Erfahrung war, dass der englische Verband viel Geld investiert hat, aber sich trotzdem vereinzelte Akteure gewünscht hätten, dass noch mehr unternommen wird, vor allem wenn es um die Besetzung von Führungspositionen in Clubs und Verbänden ging.
Erfreulicherweise gab es das im Anschluss an das Coming-out kaum. Viele Menschen, die über ein Coming-out nachdenken, denken womöglich zu sehr an die negativen Folgen. Bei mir war das Gegenteil der Fall. Mein Coming-out und die Zeit danach haben mein Leben bereichert – ich habe viele Menschen kennengelernt, die mir gesagt haben: tolle Entscheidung, tolles Statement! Es ist mir heute noch eine Freude, wenn sich Menschen bei mir melden, die sich dafür bedanken, dass ich ihnen mit meinem Coming-out und meinen Äußerungen eine Hilfe sein konnte. Das ist unbezahlbar.
Ich kann nur für mich sagen, dass manche Sorgen und Ängste, die ich hatte, nicht eingetroffen sind. Bei mir war es richtig, sich zu outen. Man muss aber auch bedenken, wer man ist, wie stabil die Persönlichkeit ist, wie das Umfeld ist, was man im Leben überhaupt will. Man sollte sich nicht drängen lassen, um anderen einen Gefallen zu tun. Sondern es braucht die innere Überzeugung, dass es richtig ist und dass man das auch wirklich will.
Nein, alles was bei mir im Leben passiert ist, die Karriere und danach das Coming-out, hatte seine Richtigkeit. Ich habe mit dem Gedanken gespielt, ich habe viele Gespräche diesbezüglich geführt und war einfach noch nicht bereit. Es war vielleicht für mich nicht der richtige Zeitpunkt damals. Deshalb weiß ich nicht, wie es ist, als aktiver Bundesligaspieler offen homosexuell zu sein.
Es gibt auf vielen Ebenen Menschen, die mich anschreiben und mir teilweise sehr persönliche Dinge mitteilen – nicht nur Fußballer, sondern auch Menschen, die mit Fußball nichts zu tun haben. Ich würde natürlich nicht darüber sprechen, wenn ich mit Spielern in engem Austausch darüber wäre. Aber wenn jemand meine Unterstützung will und braucht, versuche ich zu helfen.
Ich nehme eine positive Entwicklung beim Verband wahr. Aber das Wichtigste ist die persönliche Haltung, das Selbstbewusstsein, das man mitbringt. Da sollte man nicht zu sehr auf Verbände und Vereine schauen, sondern auf sein Netzwerk: Bin ich bei meiner Familie und meinen Freunden gut geschützt? Die Rahmenbedingungen sind nicht unwichtig, aber die eigene Persönlichkeit hätte es dem einen vor zehn Jahren ermöglichen können – und andere sind in zehn Jahren noch nicht so weit.
Das weiß ich nicht, aber man darf den Erfolg nicht nur davon abhängig machen. Es wäre ein starkes Signal, es würde extreme Aufmerksamkeit erzeugen und vielen Menschen eine Hilfestellung geben. Daher wäre es für die Entwicklung ein großer Schritt. In den vergangenen Jahren hat sich bei den Fans und Klubs bereits viel getan. Man möchte die Spieler dabei unterstützen, wenn sie den Schritt gehen. Der Umgang mit der Thematik soll zur Normalität werden.